Peter Linnert

Univ.– Prof. DDr. Dr. h.c. mult. Peter Linnert ist Direktor am SHW Wien, Hohe Warte — Ausbildungseinrichtung für Wirtschaft und Ethik

“Führungsrollen im Verkauf: Vorgesetzter, Coach und Mentor”

Die Dominanz des Marketings wird in zahlreichen Branchen zunehmend von der Relevanz des persönlichen Verkaufs in Frage gestellt. Es erscheint daher angebracht sich wieder auf die spezifischen Führungsrollen im Verkaufsaußendienst zu besinnen.

Eine Besonderheit im Verkauf ist darin zu sehen, dass die Mitarbeiter, die der Verkaufsleiter führt und steuert, unterwegs sind. Die Mitarbeiter im Verkauf befinden sich nicht an einem festen Arbeitsplatz, sondern haben mindestens 2-3 Arbeitsplätze: ihr Auto, vielleicht einen Schreibtisch im Büro und ihr Zuhause, wo sie ihre Vorbereitungen treffen. Jemand mit drei Schreibtischen muss anders geführt werden als jemand, der von 8.00 bis 16.00 Uhr im Büro anwesend ist.

Das wirkt sich besonders auf die Beeinflussungsmöglichkeiten aus, die als Führungskraft zur Verfügung stehen. Sie können einen Verkäufer weit weniger in seiner Tagesarbeit beeinflussen als einen Büroarbeiter in der Administration oder einen Mitarbeiter an der Maschine. D.h. der Verkaufsleiter braucht als Führungskraft mehr und überzeugendere Motivationstechniken, denn er muss seine Mitarbeiter so motivieren, dass sie das, was sie tun sollen, auch freiwillig tun. Schließlich können Sie nicht ständig kontrolliert werden.

Verkäufer haben immer die Möglichkeit, für Fehlverhalten Alibis zu finden. Entweder haben sie den Kunden nicht angetroffen oder das Produkt ist zu teuer oder die Lieferzeit ist zu lang oder die Qualität hat dem Kunden nicht zugesagt, usw. Die Konsequenz ist, dass Verkäufer nie ein Problem ansprechen, dessen Ursache sie selbst sind. Mitarbeiter im Verkauf haben ein anderes Problembewusstsein. Sie sehen in eventuellen Misserfolgen keine selbstverschuldeten Ursachen. Es liegt immer an den Kunden, den zu hohen Preisen, den zu langen Lieferzeiten oder der Qualität des angebotenen Produktes.

Es kann tatsächlich sein, dass Konkurrenzprodukte besser sind und Lieferzeiten bei der Konkurrenz kürzer sind. Das ist ein besonderes Problem. Weil es so sein könnte, kann man es schwer widerlegen kann. Daraus folgt, dass Führung über Kontrolle nicht machbar ist. Über Kontrolle lässt sich das gewünschte Verhalten nicht erzielen, also muss es über die Motivation versucht werden. Als Führungskraft im Verkauf muss man gute und nachhaltige Motivationstechniken beherrschen, die auch dann wirken, wenn der Verkäufer unterwegs ist. Und dazu muss die Führungskraft selbst Erfahrung haben, sie muss selber draußen verkauft haben, damit der Verkäufer ihm keinen Bären aufbinden kann und der Vorgesetzte glaubwürdig ist.

Nur dann kann er wirklich nachhaltigen Erfolg haben. Und das ist ein großes Problem. Es gibt viele Führungskräfte im Verkauf, die frisch von der Uni den Weg über Verkaufsassistenz zum Verkaufsleiter gegangen sind, die aber keine Verkaufspraxis und damit keine fachliche Autorität haben. Sie führen kraft ihres höheren Dienstgrades, kraft ihrer höheren hierarchischen Einstufung, aber nicht kraft Überzeugung und Kompetenz. Das hat zur Folge, die gestandenen Verkäufer nehmen seine Anweisungen und Empfehlungen nicht ernst. Die sagen höchstens: “Haben Sie schon mal verkauft? Wenn nein, dann kommen Sie doch mal mit!” In einigen großen Unternehmen ist das Problem schon lange erkannt worden. Dort kann man nur dann Führungskraft im Verkauf werden, wenn man mindestens zwei Jahre an der Verkaufsfront war.

Es gibt durchaus Unternehmen, die den Standpunkt vertreten: “Du kannst studiert haben was du willst. Zuerst gehst du mal in den Verkauf. Dort betreust du einen Bezirk samt Ergebnisverantwortung. Und wenn du das nicht schaffst, kannst du auch nicht ergebnisverantwortlich sein für eine Vielzahl von Personen.” Allerdings sind es wenige Firmen, die das mit aller Klarheit erkannt haben.

Es stellt sich die Frage, warum auch andere Unternehmen diesen Weg nicht beschreiten? Die Begründung liegt darin, dass die Führungskräfte an der Spitze meist nicht von der Verkaufsseite kommen, sondern von der Technik oder aus dem Finanzbereich. Das sind Spezialisten, die nie im Verkauf gearbeitet haben. Daher haben sie auch zu wenig Ahnung und Interesse an der Tagesarbeit eines Verkäufers. Diese Manager sind nur resultatorientiert, aber in ihrem Leben nie tiefer in die Probleme des Verkaufs eingestiegen, das haben sie delegiert.

Bei einem Mitarbeiter in der Administration genügt es, stark vereinfacht ausgedrückt, wenn ein Regelwerk existiert, in dem Arbeitszeit und Aufgabe definiert sind. Wenn man Verkäufer motivieren will, heißt das, dass man sie davon überzeugen muss, dass sie Spaß an ihrer Arbeit haben können. Und das bedeutet ganz pragmatisch, dass man ihm zunächst mal bei der Frustbewältigung helfen muss.

Ein Verkäufer ist den ganzen Tag Angriffen auf sein Selbstbewusstsein ausgesetzt. “Was wollen Sie schon wieder? Ich habe Ihnen doch gesagt, Ihr seid zu teuer.” “Wir haben kein Budget.” “Die Qualität passt nicht...”. Das sind ja letztendlich alles Angriffe auf sein Selbstbewusstsein und daraus resultiert Frust. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu Mitarbeitern in anderen Funktionsbereichen. Ein System der Anweisungen und Anordnungen und Reglementierungen, wie es in der Administration oder dem Finanzbereich existiert, funktioniert dort nicht. Dem Mitarbeiter muss erst einmal geholfen werden, seine Misserfolge zu verarbeiten und seinen Frust zu bewältigen. Und dann muss man ihn aufbauen. Es muss ihm geholfen werden, erfolgreich zu sein. Das ist in dieser Form bei einem Buchhalter nicht erforderlich. Außerdem muss seine Kreativität geweckt und weiterentwickelt werden. Man muss als Chef im Verkauf ein anderes Rollenverständnis haben, nämlich auch ein guter Coach sein, der erkennt, wo der einzelne Verkäufer seine Stärken hat und wie auf diesen Stärken aufgebaut werden kann.

Daraus folgt wiederum: es muss erkannt werden, dass ein Verkäufer nur dann erfolgreich ist, wenn Sie ihm helfen, seine Stärken zu entwickeln. Es bringt nichts – und das ist ein weiterer Unterschied in der Führung –seine Schwächen abbauen zu wollen. Mit diesen muss man leben.

Im Fußball macht es beispielsweise keinen Sinn, wenn versucht wird, aus einem guten Tormann einen Mittelfeldspieler zu machen. Bei den Verkäufern ist das sehr ähnlich. Jeder Verkäufer hat bestimmte Stärken und wenn man von ihm die bestmögliche Leistung haben will, müssen diese Stärken erkannt und ausgebaut werden. Beispielsweise wird man rasch erkennen, dass viele Verkäufer Planungschaoten sind. Es hat überhaupt keinen Zweck, dem Mitarbeiter dann jeden Tag Vorhaltungen zu machen und ihm einzuschärfen, dass er doch besser planen soll. Seine Stärke ist möglicherweise, dass er ein Improvisationsgenie ist, der beim Kunden grenzgenial improvisieren und Kunden begeistern kann. Oder er hat die besondere Fähigkeit, Kunden zu Freunden zu machen oder bestehende Kunden sehr gut zu betreuen. Ein anderer ist vielleicht besonders begabt darin, erste Kontakte zu schließen, dafür aber als Betreuer ungeeignet. D.h. es gibt in einer Verkaufsmannschaft unterschiedliche Eignungen und die müssen vom Verkaufsleiter erkannt werden. Er benötigt deshalb sehr viel psychologisches Einfühlungsvermögen.

In der Realität existieren in einem Verkaufsteam unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlichen Stärken und ein Vertriebssystem, das eine einheitliche Behandlung nahe legt. Im Zweifelsfall müsste das Verkaufs- oder Kundenbetreuungssystem geändert werden.

Die Frage ist, was wichtiger ist. Die Leistung oder das System? Wenn ein Verkaufsleiter wenig Einfluss auf das System hat, das vom Vorstand vorgegeben wurde, dann muss er entweder seine Führungsaufgabe zurücklegen oder er muss nach oben argumentieren. Z.B. könnte argumentiert werden, dass er eine Teambildung im Verkauf anstrebt, indem er zwei Bezirke zusammenlegt und der eine Verkäufer dann als Aufreißer fungiert und der andere als Heger und Pfleger. Das ist eine große Schwierigkeit, weil das Systemdenken in vielen Unternehmen dominiert und damit die individuellen Begabungen zu kurz kommen.

Hinzu kommt ein weiterer Punkt. Verkäufer müssen vor Ort geführt werden. Eine Verkaufsmannschaft kann nicht nur vom Schreibtisch aus geführt werden. Der Verkaufsleiter muss also selbst mit den einzelnen Verkäufern mitreisen. Er sollte dem Verkäufer nicht nur Coach sein, sondern auch Mentor. Mentor auch in Richtung einer Zukunft, die für ihn vielleicht andere Aufgaben bringt. Einfach ausgedrückt: Die Einkäufer werden immer besser ausgebildet, Früher saß da jemand, der etwas vom Produkt verstand. Jetzt sitzt dort ein Herr Mag. Meier. Der ist dem Verkäufer vielleicht intellektuell überlegen. Daraus folgt, dass der Verkaufschef seine Mitarbeiter dahin bringt, dass sie sich ihrer Qualitäten bewusst werden, um mit dem Kunden auf Augenhöhe verhandeln zu können. Als Führungskraft im Vertrieb ist der Verkaufsleiter für den Mitarbeiter Coach, Mentor, Leader und Psychologe bei der Bewältigung seiner Frusterlebnisse.

Damit ist gemeint, aktiv auf die eigenen Verkäufer zuzugehen. Wenn ein Verkaufsleiter beispielsweise bemerkt, dass ein Verkäufer zu oft in seinen Wochenbericht schreibt, Kunden nicht angetroffen, dann kommt ihm wahrscheinlich der Verdacht, dass der Verkäufer gar nicht dort gewesen ist. Er fragt sich logischerweise: Warum macht das der Verkäufer? Vielleicht hat er Angst vor weiteren Niederlagen. Dann bringt es überhaupt nichts, auf ihn Druck auszuüben und zu sagen, “ich hab dort angerufen, die haben dich nie gesehen”. Sondern er benötigt Einfühlungsvermögen und muss sich fragen, was kann der Grund sein für dieses Verhalten? Hat er schon eine Niederlage erlitten und Angst vor weiteren Fehlschlägen?

Die meisten Verkäufer – und das ist eine weitere Eigenheit im Vertrieb – gehen mit hohen Erwartungen in diesen Job. Sei es, weil sie glauben, dass sie hier noch viel Geld verdienen können, ohne eine abgeschlossene Ausbildung zu haben, oder weil sie hier Geld verdienen und sich ihre Arbeit selbst einteilen können, oder weil sie sich über das Anschreiben von Kilometergeld ihr Auto finanzieren können. Sie kommen mit hohen Erwartungen, egal wie moralisch hochstehend das im Einzelnen ist. Und dann scheitern die meisten Verkäufer an dieser Erwartungshaltung, weil die Realität anders ist. Als Verkaufsleiter muss man sich überlegen, ob das Problem gelöst wird, wenn sie den Verkäufer hinauswerfen, oder ob der Nächste vielleicht noch schlimmer ist. Denn das einzige sichere Ergebnis, bei dieser Vorgangsweise, sind eine höhere Fluktuation und Kontakteinbrüche beim Kunden. Stattdessen könnte auch versucht werden, die Mitarbeiter individuell zu behandeln und beispielweise zu diesem Verkäufer sagen: “Hör zu, ich habe gemerkt, dass du Angst hast, zu diesem Kunden zu gehen. Was war los bei den letzten Besuchen? Was ist schief gegangen? Lass uns da mal darüber reden und überlegen, was du besser machen könntest.” D.h. keine Vorwürfe, sondern Fragen, Fragen, Fragen. Damit befindet sich der Verkaufsleiter in der Rolle eines Coaches oder fast schon eines Psychotherapeuten.

In vielen Unternehmen gibt es quantitative Ziele. Gefordert werden Ergebnisse, egal wie. Es gibt nur wenige Unternehmen, die auf der Verhaltensebene schauen, wie der Verkäufer seine Vorgaben erfüllt. Wenn auch qualitative Ziele in die Zielerreichung einbezogen werden wollen, kann das nur dann funktionieren, wenn der Verkaufsleiter vor Ort führt, d.h. 40-50 % seiner Zeit als Verkaufschef mit den Verkäufern draußen beim Kunden verbringt. Nur dann funktioniert das. Alles was Sie im Verkauf nicht gezählt, gemessen oder gewogen werden kann, wird auch nicht verbessert. Es sei denn – der Vorgesetzte fährt mit und beobachtet den Mitarbeiter und betrachtet sich in der Situation nicht als seinen Vorgesetzten, sondern bestenfalls als seinen Berater. Und meldet seine Beobachtungen unmittelbar nach jedem Kundengespräch zurück. Die typische Aussage von Verkaufsleitern ist aber: “Dazu fehlt mir die Zeit.” Verkauf ist bekanntlich nicht gleich Verkauf, der Verkauf von Ferienwohnungen einer neu gebauten Anlage verlangt andere Fähigkeiten als der Verkauf von Polizzen für eine Reiseversicherung?

Die Art des Produktes definiert die Art der Kundenbeziehung, die Art der angestrebten Kundenbeziehung definiert die Art des Verkaufs und die dazu notwendigen Verhaltensweisen und die wiederum bestimmen das darauf hinwirkende Führungsverhalten. Es ist bekannt, dass im Verkauf, das geschieht wofür bezahlt wird. Also muss sich der Verkaufsleiter die Frage stellen: Was soll denn geschehen? Dann ist die nächste Frage: Wie muss ich es bezahlen, damit genau das geschieht? D.h. Über die Ziele wird über das Prämiensystem definiert.

Es ist zu beobachten, dass viele Unternehmen zwar ihre Kundenorientierung betonen, doch gleichzeitig jagt im Vertrieb eine Verkaufsaktion die nächste, mit dem Ziel, möglichst viele Stückzahlen abzusetzen. Das ist für die Verkaufssteuerung ein großes Problem und liegt daran, dass unterschiedliche Personen Einfluss auf das Vertriebsgeschehen nehmen. Einerseits der Verkaufsleiter, andererseits die einzelnen Produktmanager oder Spartenleiter. Jeder will seinen Bereich forcieren und alle starten Aktionen über das gleiche Vertriebsteam. Dadurch entstehen bei den Verkäufern sehr unterschiedliche Botschaften, eben weil unterschiedliche Personen mit unterschiedlichen Zielen darauf Einfluss nehmen.

Um dieses zu vermeiden, ist eine Abstimmung erforderlich, aber diese Abstimmung muss auf der Ebene der Unternehmensleitung stattfinden. Das Problem ist, dass durch die neuen Matrix-Organisationsformen viele unterschiedliche Verantwortlichkeiten gegeben sind. Daher muss ganz oben mit einem Zielabstimmungsprozess zwischen den einzelnen Bereichen begonnen werden, sonst wird der Zielkonflikt auf den untersten Ebenen ausgetragen. Dann setzt letztendlich der einzelne Verkäufer die Prioritäten, was er verkauft und was nicht. Um dieses Dilemma zu vermeiden ist es erforderlich, auch den Verkaufsleiter in den Zielfindungsprozess einzubeziehen. Er vermag am besten zu beurteilen, welche Produktmengen und –arten im Jahr über die Außendienstorganisation abgesetzt werden können, wenngleich auch bei ihm Fehleinschätzungen über die Absatzchancen nicht ausgeschlossen werden können.

Univ.– Prof. Dr. Peter Linnert ist Direktor des SHW – Studienzentrum Hohe Warte, Ausbildungseinrichtung für Wirtschaft und Ethik in Wien, Österreich.